Montag, 25. Februar 2013

Predigt von Bischof Manfred beim Requiem f. Bischof Reinhold

Hier der Link zur  
Predigt von Bischof Manfred Scheuer beim Requiem für Alt-Bischof Reinhold Stecher am 2. Februar 2013 im Innsbrucker Dom:


Dazu der  Brief von Bischof Reinhold von 1997, auf den Bischof Manfred verweist. Es lohnt sich, ihn wieder einmal durchgelesen. Er lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. 
Gedanken zum neuesten Dekret über die Mitarbeiter der Laien
Da ich mir einmal vorgenommen habe, kirchenkritisch notwendige Dinge nicht als "mutiger Pensionist", sondern im Amt zu sagen, komme ich nicht daran vorbei, zu diesem Dekret einige Gedanken zu äußern, bevor ich den Stab weitergebe. Nicht so sehr zu den Details. Da werden ja Dinge ausgesprochen, die festgehalten werden müssen. Es gibt nun einmal den mit der Vollmacht zur Eucharistie ausgestatteten Priester - und diese Vollmacht kann sich niemand nehmen oder von unten her bestätigen lassen. Und es ist richtig, daß es in diesem Bereich bedauerlichen Wildwuchs gibt, wenn sich das auch in dem in Rom so oft schlecht gemachten Österreich in Grenzen hält. Kritisch könnte man zu den Details nur sagen, man sollte auch im Unterschied von Priester und Laien nicht alles in einen Topf werfen. Es ist ein Unterschied, ob man z. B. die eucharistische Vollmacht verteidigt oder die Vollmacht im Gottesdienst zu predigen. Wenn es - wie heute häufig - zwar noch gelingt, von irgendwoher einen alten Priester für die Eucharistie "einzufliegen", dann ist schwer einzusehen, daß man einem theologisch vollausgebildeten und menschlich-spirituell geeigneten Gemeindemitglied verbieten muß, in der Eucharistiefeier eine Predigt zu halten (über Allerheiligen-Allerseelen mußte neulich mein Generalvikar allein sieben Gemeindegottesdienste als aushelfender Priester feiern!). Ich bin durchaus dafür, daß zur Verkündigung jemand kirchlich bevollmächtigt sein muß. Aber die Verkündigung in der Eucharistiefeier zu streichen, weil man für eine Ansprache unbedingt geweiht sein muß, ist eine andere Sache. N i e m a n d in den Gemeinden versteht ein derartiges Verbot, wenn die Alternative das Nichts ist.
Und hiermit stehe ich bei meinem eigentlichen Bedenken gegen dieses wiederum nur restringierende Dekret, das den Laien, den Kommunionhelfer usw. höchstens als widerwillig zugelassenen Notnagel für ein paar Funktionen sieht, wenn’s halt gar nicht anders geht. Mein Bedenken liegt in dem "Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen" der pastoralen Situation bei uns und in vielen, ja den meisten anderen Ländern der Erde - und in dem "Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen" der theologischen Bedeutung der Eucharistie für die christliche Gemeinde und die Kirche. Zu Letzterem spricht in großer Klarheit der Artikel von Wolfgang Beinert in Heft 11 der "Stimme der Zeit", Jahrgang 1997, S. 736 ff.
Um das Dilemma dieses Dekrets etwas plastischer darzulegen: Im Land Tirol erhob sich vor einiger Zeit das Problem, daß bei der Betreuung der vielen Zuckerkranken in den Wohnungen und Altersheimen nur Diplomschwestern berechtigt waren, die entsprechenden rettenden Spritzen zu verabreichen. Von diesen ausgebildeten Diplomschwestern gibt es natürlich viel zu wenig. Die Standesgruppe der Diplomschwestern hat natürlich aus verschiedenen Gründen dieses Standesrecht verteidigt, aber mit dem Blick auf die Volksgesundheit wurde dann doch entschieden, daß entsprechend ausgebildete Altershelfer/innen und Betreuer/innen diese Spritzen geben dürfen. - Die Kinder der Welt sind wahrhaftig klüger als die Kinder des Lichts. Bei uns geht es auch um das H e i l , allerdings um das Heil mit einer Dimension in die Ewigkeit. Und bei uns ist es auch so, daß Diplomhelfer (Priester) viel zu wenige sind und angesichts unserer klerikalen Alterspyramiden immer weniger werden. Und es ist weiterhin klar, daß bei der Forderung eines glaubhaft gelebten Zölibates diese Zahl immer klein sein wird. Für den redlich gelebten Zölibat ist nun einmal verlangt, daß der Betreffende den sexuellen und partnerschaftlichen Verzicht in einer gesunden, nicht verdrängenden Weise umformt in spirituelle, pastorale, soziale, geistige, dienende und kreative Entfaltung. Das ist und bleibt aber die Sache derer, "die es fassen können". Und selbst in den Worten Jesu liegt keine Spur einer Andeutung, daß diese elitäre Zahl den pastoralen und theologischen Notwendigkeiten einer lebendigen Kirche entsprechen muß. In unserer Zeit und ihrem Klima ist es noch einmal schwieriger, dem zu entsprechen, wie z.B. in den Zeiten der Verfolgung durch den Nazismus, in die meine Berufung gefallen ist.
Es ist immer etwas problematisch, wenn man an den göttlichen Heilsabsichten und dem tiefsten theologischen Wesen des Sakraments vorbei menschliche Ordnungen verabsolutiert.
Das genannte Dekret über die Laien begnügt sich also mit der Verteidigung der "Diplomschwestern und Diplompfleger", will sagen der klerikalen Vollmachten, Würden und Standesrechte. Die Volksgesundheit, d. h. das Heil der Gemeinden, bleibt völlig aus dem Spiel. Für diese Gemeinden hat man eigentlich stillschweigend schon längst einen Heilsweg o h n e Sakramente entworfen - was wiederum jeden auch nur in einer seriösen scholastischen Theologie Gebildeten den Kopf schütteln läßt. Die Heilsnotwendigkeit der Sakramente der Eucharistie und Buße bzw. der Krankensalbung wurde dort sehr eindrucksvoll definiert.
Aber hier stoßen wir wiederum auf das Dilemma, wenn man die Bedingungen für das eucharistische Amt in k e i n e r W e i s e vom Heil der Gemeinden her definiert, sondern n u r von individuellen Zulassungsbedingungen, die zum Teil eben rein menschlichen Rechtes sind, aber eben o h n e j e d e n B l i c k auf den allgemeinen Heilswillen Gottes und die wesentlich eucharistische Struktur der Gemeinde durchgezogen werden. Dem Festhalten an diesem Amtsbegriff, der eben so n i c h t aus der Offenbarung erwiesen werden kann, wird alles geopfert. Vor einiger Zeit hat mir ein wegen seiner konservativen Gesinnung bekannter Bischof lächelnd gesagt: "Ach, bei uns hat jeder Priester drei Pfarreien - das geht ganz ausgezeichnet ..." Der betreffende hohe Würdenträger hat allerdings in seinem Leben nicht einmal e i n e Pfarre geleitet, geschweige denn mehrere. Wenn er es getan hätte, wäre er mit einer derart kühnen Analyse wahrscheinlich etwas vorsichtiger. Ich habe in Frankreich Priester, müde und resignierende Priester kennengelernt, die sieben bis zehn Pfarreien herumrasend "betreuen". Auch wenn solche Priester hervorragend theologisch gebildet sind, haben sie keine Chance je in höheren Etagen mitreden zu können. Der Stand der kleinen Frontpfarrer wird von der bischöflichen Würde ebenso ferngehalten wie von jeder Mitsprache in diesem Bereich. So werden die Erfahrungen und Frustrationen nur von wenigen Bischöfen wahrgenommen und nach oben getragen. Nach unten begnügt man sich bestenfalls mit verständnisvollen Seufzern und einer bewegten Klage über fehlende christliche Familien, die eben zölibatäre Berufe in genügender Anzahl zu fabrizieren hätten. Und weiter oben begnügt man sich mit der Zementierung vorhandener Ordnungen wie im vorliegenden Dekret. Die Not dahinter ist kein Thema.
Wenn beim Dialog für Österreich das Thema kommen wird (falls es nicht gelingt, es schon vorher in einen Winkel zu verbannen), wird man mit souveräner Würde darauf hinweisen, daß dieses Thema eindeutig eine Sache der Weltkirche sei (was ja stimmt) und daher österreichische Gläubige, Gemeinden, Seelsorger und Verantwortungsträger nichts angehe.
Ich sage diese Dinge nicht, weil ich gegen den Zölibat bin oder weil ich mir etwa einbilde, mit dem Stand der "viri probati" gäbe es keine Schwierigkeiten. Die gibt es überall, wo Menschen sind. Es ist überhaupt eine unbewußte oder bewußte Fälschung, die hier vorgebrachte Frage als einen Disput über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen darzustellen. Die steht nicht in Frage. Das Bestürzende liegt darin, daß die derzeitige Kirchenleitung einfach ein theologisches und pastorales Defizit aufweist, so peinlich das zu sagen ist. Das Amt in der Kirche ist von seinem biblischen Verständnis her ein dem Heile d i e n e n d e s A m t und kein sakraler Selbstzweck, dem es völlig gleichgültig sein kann, ob Millionen und Abermillionen von Christen überhaupt je die Möglichkeit haben, heilsstiftende Sakramente zu empfangen und die Mitte ihrer Gemeinschaft, die biblisch und dogmatisch die Eucharistie ist, in einer menschlich erlebbaren Weise zu pflegen. Es heißt eben immer noch: Propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis" und nicht "propter nostram auctoritatem et propter stricte conservandas structuras ecclesiasticas descendit de coelis ..."
Und man sollte nicht davon ausgehen, daß die Laien und der Großteil der Seelsorgspriester in Österreich diese Dinge nicht zu durchschauen imstande sind und daß man sie einfach bei einem Dialog, der ehrlich gemeint sein sollte, als nichtkompetent abwimmeln kann. Diesen Laien und eben diesen Seelsorgern verdanken wir zu einem guten Teil im höherem Maße, daß es eine Kirche Österreichs noch immer und trotz allem gibt - als manchen römischen Dekreten ...
Die Tendenz, menschliche Ordnungen und Traditionen höher zu werten als den göttlichen Auftrag, ist das eigentlich Erschütternde an manchen Entscheidungen unserer Kirche am Ende dieses Jahrtausends. Es scheint z. B. niemanden in den höchsten Gremien zu beunruhigen, wenn buchstäblich Hunderte von Millionen Katholiken gar nicht mehr zu den moralisch heilsnotwendigen Sakramenten der Vergebung kommen k ö n n e n (- und weil sie nicht kommen können, nach einer Generation auch gar nicht mehr kommen w o l l e n ). Die Krankensalbung hätte heute eine Chance - übrigens auch in der Umwelt einer stärker ganzheitlich -menschlichen Medizin. Aber der sich im Sakrament zu den Kranken neigende Christus kann auf Grund der zölibatär-restriktiven Vollmachtserteilung eben zu Millionen gar nicht kommen. Daß die großzügig verfügte regionale Pfarr-Zusammenlege-Praxis eine liebevoll begleitende sakramentale Krankenpastoral unmöglich macht, stört die kirchliche Zentralgewalt in keiner Weise. Und dabei ginge es wirklich um das H e i l , das ewige H e i l .
Am bedenklichsten ist für mich nach wie vor in dieser Frage der Mißachtung göttlicher Weisungen der Umgang mit Priestern, die geheiratet haben. Aus e i g e n e r A n s c h a u u n g weiß ich, daß Gesuche, die der Bischof mit dringenden, pastoral und menschlich begründeten Bitten einreicht, z e h n J a h r e und mehr gar nicht angeschaut werden. Auch das neueste Dekret ändert diese Praxis nur marginal. Es handelt sich - wohlgemerkt - n u r um Bitten der Versöhnung mit Gott und der Kirche, um die Möglichkeit, eine christliche Ehe zu führen und manchmal auch um die Möglichkeit, nichtpriesterliche Dienste auszuüben. Auch hier gibt es nur das unbarmherzige N e i n . Und nun wiederum: Was hat der Herr gesagt? Hat er nicht die Pflicht zur Verzeihung und zur Versöhnung durch alle Lehren und Gleichnisse, Taten und bis zu den Gebeten am Kreuz zur h ö c h s t e n ethischen Pflicht gemacht? Hat er nicht dieses Gesetz des Verzeihenmüssens mit der härtesten Sanktion belegt? Hat er nicht gesagt "wer nicht verzeiht, dem wird nicht verziehen"? Hat er nicht dem Petrus persönlich eingeschärft, daß er nicht siebenmal, sondern siebenmal siebzigmal am Tage verzeihen sollte? Diese Stelle scheint in römischen Dekreten nie auf, nur Matthäus 16,18. Alle die, die da so ihre Liebe zum Papst betonen und sich als die Papsttreuen belobigen lassen - müßten sie angesichts der Worte des Weltenrichters nicht erschrecken, wenn ein Papst mit Tausenden von abgelegten Gesuchen und Bitten um Versöhnung stirbt? Was tun wir an einem Sterbebett, wenn wir wissen, daß der betreffende Versöhnung verweigert? Versuchen wir nicht, ihn zur Milde zu bringen, weil es auch um s e i n ewiges Heil geht? Und was hielten wir von einem Priester, der zu einem Beichtenden sagen würde: "Bei Deiner Art von Sünde - komm in zehn Jahren wieder, vielleicht bin ich dann geneigt, Dir die Versöhnung zu gewähren? Ist nicht theologisch evident, daß die Verweigerung von Verzeihung und Versöhnung die v i e l g r ö ß e r e S ü n d e ist, als die Verletzung des Zölibats? Die zweite betrifft ein m e n s c h l i c h e s Gebot und ist eine Sünde der Schwachheit, die erste ein g ö t t l i c h e s und ist eine Sünde der Härte. Oder glaubt man vielleicht, juridische Handhabungen in der Kirche unterstünden nicht den Geboten Jesu? Nimmt man etwa an, daß in der Ordnung des Weltenrichters Schreibtischtäter besser fahren als Detailsünder?
Auch hier zeigt sich diese immer wieder auftauchende Tendenz, die Weisung Jesu kirchlichen Verwaltungspraktiken und menschlicher Autoritätsausübung unterzuordnen.
In diesen Vorgangsweisen liegt auch die eigentliche Einbuße der päpstlichen Autorität. Denn diese für die Kirche so notwendige Autorität leitet ihr Gewicht n u r von der Übereinstimmung mit Christus her, wie es ja auch im innersten Wesen der Unfehlbarkeit zum Ausdruck kommt. Aber die Geschichte lehrt, daß auch die Praxis des höchsten Amtes von der Sache Jesu abirren kann. Diese heute gängigen Praktiken gegenüber Einzelsündern widersprechen dem Geiste Jesu genau so wie einst die Bannstrahlen und Interdikte gegen ganze Länder und Städte. Und ich weiß, daß viele Priester und Laien, die ihr Christsein ernst nehmen, unter diesen Widersprüchen leiden und sich nach einem Papst sehnen, der in dieser Zeit vor allem die Güte verkörpert. So wie das derzeit ist, hat Rom das Image der Barmherzigkeit verloren und sich das der repräsentativen und harten Herrschaft zugelegt. Mit diesem Image wird die Kirche im 3. Jahrtausend keinen Stich machen – da ändern pompöse Milleniumsfeiern mit vielen schönen Worten gar nichts. Es geht um Akzentverschiebungen in einigen entscheidenden Punkten der pastoralen Praxis, sowohl was den Umgang mit dem allgemeinen Heilsauftrag Jesu als auch den Umgang mit dem Sünder betrifft.
Und es darf um der Kirche willen nicht so sein, daß man von höchster Stelle wohl um jeden Splitter an der Basis bemüht und besorgt ist, aber den Balken im eigenen Auge nicht sieht.
Auch wenn ich diese in die pharisäische Auseinandersetzung der Schrift hineinreichenden Defizite unserer heutigen Kirche beim Namen nenne, nehme ich von meiner Hoffnung auf das Walten des Geistes und die Zukunft der Sache Jesu nichts zurück. Aber die Sensibilisierung für die wahren Intentionen muß in unserer Kirche deutlicher werden. Das Abirren von solchen Grundsätzen hatte in der Vergangenheit schwerwiegende Folgen. Auch in dieser Hinsicht müßte die Besinnung des Milleniums Einsicht bringen.
Dr. Reinhold Stecher Diözesanbischof von Innsbruck
am 33. Sonntag nach Pfingsten, dem Sonntag des Weltgerichts